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Spiegel Swans in Hamburg Feature

Swans live in Hamburg
BOOM! BOOM! BOOM!

Keine Band ist live lauter: Die Swans sind seit über 30 Jahren berüchtigt für Konzerte an der Schmerzgrenze. Bald werden sie von der Bühne verschwinden. Zeit, sich noch einmal ihrem Lärm zu stellen.

Um die Liveauftritte der Swans ranken sich Legenden. Es geht dabei meistens um die infernalische Lautstärke, die immer wieder Menschen im Publikum in die Ohnmacht gezwungen haben soll. Einmal, das war in den Achtzigerjahren, hat die Band in London angeblich in einem kleinen Club eine Musikanlage aufgebaut, die gereicht hätte, um ein ganzes Stadion zu beschallen. Dann verriegelten sie die Ein- und Ausgänge mit Ketten und legten los. Es soll eine Massenpanik gegeben haben.

Wenn man also heute ein Konzert der Swans besucht, sollte man sich dann Watte in die Ohren stopfen? Ernsthaft? Wegen der alten Geschichten? Aber Michael Gira, der Chef der Band, ist mittlerweile 62 Jahre alt. Der stopft sich garantiert keine Watte in die Ohren. Also hinhören, ungefiltert!

Man muss ja. Jetzt, hier, in Hamburg. Denn nach der aktuellen Tour soll die 1982 gegründete Gruppe nach Giras Willen größtenteils von den Konzertbühnen verschwinden. Er will sie dann wieder einmal komplett umbauen und kaum noch live spielen. Es ist die Reinkarnation einer Band, die früher eine Mischung aus No Wave, Sludge, Industrial und Noise spielte und heute für vier monumentale Alben gefeiert wird, die seit 2010 in neuer Besetzung entstanden sind.

Was als Erstes auffällt in der Konzerthalle auf Kampnagel: Sind alle nicht mehr ganz jung hier im Publikum. Größtenteils Männer mit ergrauten Haaren und Bärten. Angst vor der Lautstärke scheint aber trotz des fortgeschrittenen Alters der versammelten Trommelfelle niemand zu haben. Die meisten sitzen entspannt da. Aber: Sie sitzen. In der ersten Reihe stehen ist dann doch nicht mehr ihr Ding.

Der erste Song dauert an die fünfzig Minuten

Im Vorprogramm spielt die wunderbare Schwedin Anna von Hausswolff, die auf ihren Platten mit einer Kirchenorgel spielt, aber die hat natürlich nicht auf die Bühne gepasst. Trotzdem riesig, ihr Tasteninstrument. Sie ist kaum zu sehen dahinter. Von Hausswolff, deren Gesicht komplett unter sehr langen Haaren verschwindet, feiert mit zuckendem Leib eine ekstatische schwarze Messe aus elektronischem Fiepsen, Gitarrenschraddel und Rückkopplungen. Die passende Einstimmung. Dann kurze Umbaupause. Michael Gira kommt schon mal auf die Bühne und testet seine Gitarre. Ja, funktioniert. Ist schon mal so laut, dass jetzt im Publikum doch Silikonpfropfen gezückt werden.

Dann geht es los, ganz plötzlich, das Saallicht ist noch gar nicht erloschen. Es wird auf Giras Wunsch auch nur gedimmt. Vielleicht, damit man nicht komplett die Orientierung verliert. Ist es laut? Aber ja doch, jetzt muss es auch mal gut sein damit. Es ist nicht die Lautstärke an sich, die Swans-Konzerte zu einer Herausforderung machen. Es ist das allumfassende Tosen, das da von der Bühne über das Publikum flutet, das Brüllen und Kreischen der Gitarren, der Donnerschlag der Drums, das ekstatische Bellen des Basses. Ein ungeheurer Lärm ohne Songstruktur, ein Schwellen bis zur Ekstase, die abebbt und wieder anhebt. Manchmal scheint der Song vorbei zu sein, aber dann singt Gira kehlige Laute wie ein tibetischer Mönch, und der Moloch setzt sich wieder in Bewegung. "The Knot" heißt dieser erste Song, wenn man dieses kolossale Stück Musik so nennen will, und er dauert an die fünfzig Minuten. Insgesamt werden die Swans heute Abend sechs Songs spielen. In drei Stunden.

Zur Vorbereitung hat man noch mal alle vier Platten gehört, für die die Swans gefeiert werden. Das ist durchaus ein Stück Arbeit, wenn auch sehr faszinierende. Und dann erkennt man nichts wieder. Das liegt daran, dass "The Knot" auf keiner dieser Platten zu finden ist. War doch eigentlich klar, dass die Swans live kein "Best of" ihres Schaffens geben werden. Diese Band zertrümmert schließlich seit über 30 Jahren konventionelle Vorstellungen von Rockmusik.

Hypnotische, experimentelle Musik, die keine Grenzen kennt

Dabei ist das, was die Swans spielen, im Kern sehr wohl genau das. Bis zur Unkenntlichkeit verdichtete Rockmusik. Das wird live noch viel deutlicher, weil die orchestralen Passagen der Alben fehlen. Manchmal fällt die Band in einen Rhythmus, der klingt wie Heavy Metal in Zeitlupe, wie träge, glühende Lava. Das sind dann die Passagen, bei denen man sich etwas ausruhen kann. Aber was heraussticht, das ist der exzessive Drang zur Wiederholung simpelster Phrasen, meistens sogar nur eines Beats mit allem, was die Musiker haben. Immer wieder holen die drei Gitarristen, der Bassist und der Drummer aus zu einem erderschütternden BOOM, nochmal und nochmal und nochmal. Rockmusik besteht aus der ständigen Wiederholung von Riffs, Beats, Akkorden. Swans zerlegen diese Teile und machen daraus eine hypnotische, experimentelle Musik, die keine Grenzen kennt und sich gefühlt unendlich ausdehnt.

Mit Mantren und Chants wird sie verglichen, ihr wird eine spirituelle Qualität zugesprochen. Da ist viel dran, das merkt man vor allem, wenn man dieser Musik live ausgesetzt ist. Ein Swans-Konzert ist mindestens so sehr eine körperliche und seelische Erfahrung wie eine ästhetische. "I am, I am, I am" brüllt Gira ins Publikum und teilt mit ihm eine Seinserfahrung, die nach Transzendenz und Erlösung strebt, aber doch durch die tagtägliche menschliche Erfahrung von Leid und Pein und Enttäuschung und Neubeginn mit erdener Schwere am Boden haften bleibt.

Ein Rätsel, warum Michael Gira eigentlich Schluss machen will mit dem Touren. Am Ende, als es wirklich schmerzhaft wird, als ein schrilles Kreischen sich über viele Minuten ins Hirn bohrt und ein stolpernder Beat für Kammerflimmern zu sorgen droht, als auch die Herren auf der rechten Seite sich die gemarterten Ohren zuhalten, da scheint Gira sich erst richtig wohlzufühlen. Er wiegt sich in den Hüften, als spiele er grundentspannten Reggae. Vielleicht hat seine Musik ihn ja schon erleuchtet.

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